Auch tierische Lions leben in Familien

In den Zoos von Zürich und Basel lebt heute je ein kleines Löwenrudel. Erstaunlicherweise haben diese Tiere einiges mit menschlichen Familien gemeinsam. Patchwork gibt es bei den Raubkatzen zwar nicht. Doch sind die Tiere in manchen Situationen dem Verhalten der Menschen sehr ähnlich.

Wer kennt sie nicht? Jene rührende Filmszene im Disneyklassiker «König der Löwen», bei welcher sich der tierische Vater vor seine Löwin und den fauchenden Nachwuchs stellt, um seine Familie vor dem Löwenbösewicht zu beschützen. Oder die, wo die Familie fröhlich singend durch die heissen Trockenwälder streift und sich des Lebens freut. Oder die, als der Vaterlöwe seinen schweren Verletzungen nach einem Felssturz erliegt und der kleine Junior dieses Drama hilflos mitansehen muss? Die Realität sieht nicht viel anders aus …

Afrikanische und asiatische Löwenfamilien

Aktuell besteht die Löwenfamilie im Basler Zoo aus einem Männchen, zwei Weibchen sowie zwei Töchtern. Es handelt sich hierbei um afrikanische Löwen, wohingegen im Zoo Zürich asiatische Löwen ihr Zuhause gefunden haben. «Aufgrund seiner kurzen Mähne sowie der doppelten Bauchfalte unterscheidet sich der asiatische Löwe auffällig von seinem afrikanischen Vetter», erklärt Dr. Alex Rübel, Direktor Zoo Zürich. Hier lebt zurzeit eine asiatische Löwen-Kleinfamilie mit insgesamt drei Tieren. Der Löwenpapi Radja sorgt alleine für seine beiden Töchter Jeevana und Kalika. Mutter Joy musste letzten Juni nach kurzer, schwerer Krankheit euthanasiert werden.

Löwen haben in der Tat einen wahren Sinn für Familie.

Familienähnliche Rudel

Löwen sind grundsätzlich Rudel-oder eben Familientiere mit einem entsprechenden Gemeinschaftssinn. So gibt es ebenso kleinere Rudel mit drei bis vier Tieren als auch richtige Sippen mit bis zu 30 Mitgliedern. «Löwen haben in der Tat einen wahren Sinn für Familie», erklärt Olivier Pagan, Direktor Zoo Basel und Aktivmitglied mit Präsidentenvergangenheit im LC Basel. So kommen Löwenbabys normalerweise im Rudel zur Welt, wobei mehrere Weibchen meist gleichzeitig ihren Nachwuchs austragen und anschliessend auch zusammen gross ziehen. In der Gruppe lernen die Löwenkids, gemeinsam eine Beute zu jagen. Weiter erzählt Pagan, dass sich Löwengemeinschaften einer strengen Hierarchie unterordnen. So gibt es immer ein Familienoberhaupt, welches das Rudel anführt. Das löweneigene Gebrüll ist hierbei ein wichtiges «Werkzeug». Das Oberhaupt markiert sein Territorium und weist so sowohl sein eigenes Familienrudel an als auch fremde Tiere ab. Je nach Kehlkopf, welcher beim Löwenmännchen speziell ausgeprägt ist, ertönt das Gebrüll lauter oder eben dezenter.

Im Kampf zum König

Tierische Löweneltern gehören so lange zur Familie, bis sie durch eine kämpferische Niederlage ausgeschlossen werden und sich so einem anderen Rudel anschliessen und entsprechend unterwerfen müssen. Sobald der neue Löwenkönig im Kampf erkoren wurde, vertreibt er auch sogleich alle Männchen aus dem Rudel. Die Söhne des Löwenoberhauptes fordern zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben zudem den eigenen Vater zum Kampf heraus. Gewinnt der Junior den teilweise blutigen Kräftevergleich, wird er der neue «Lion King». In jedem Fall muss der Verlierer die Familie verlassen, was in menschlichen Augen einer Art des verachtenden Ausstossens gleichkommt. Harte, aber klare Regeln. Ein erhebliches Risiko besteht allerdings auch dann, wenn ein anderes Männchen versucht, das Rudel zu übernehmen. Gelingt dieser «Angriff», sind die Jungtiere in der Familie in hohem Masse gefährdet, da das neue Männchen alle Jungtiere tötet. Ein solcher Infantizid oder die Vertreibung der Männchen gibt dem neuen Herrscher die Möglichkeit, seine eigenen Gene zur Vermehrung einzubringen.

Patchworkfamilien, so, wie die Menschen sie kennen, gibt es bei den Löwen nicht.

Familienstrukturen und Hierarchien

Junglöwen entwickeln bereits in den ersten Lebenswochen ihren ganz eigenen Charakter. Diese Züge ziehen sich bis ins Erwachsenenalter durch. Wie bei den Menschen sind die einen eher verspielt und vorauseilend, während die anderen lieber hinterhertrotten. Für eine Löwenmutter gestaltet sich die fürsorgliche Kontrolle bei zwei Jungen mit unterschiedlichen Charakteren demzufolge nicht ganz einfach. Patchworkfamilien, so, wie die Menschen sie kennen, gibt es bei den Löwen nicht. Dies ist genetisch bedingt und daher grundsätzlich nicht möglich. «Hier können, als Beispiel, Schimpansen als mit den Menschen am ehesten zu vergleichende Familienkonstrukte, inklusive Fürsorge, Emotionen und gegenseitiger Behandlung, genannt werden», erzählt Pagan weiter.

Nach dem Fressen wird «relaxed»

Grundsätzlich sind Löwenfamilien neben der blutigen und aggressiven Jagd aber auch wahre Geniesser. Obwohl es sich um Raubtiere handelt, «relaxed» eine Löwenfamilie bis zu 23 Stunden pro Tag. Dies natürlich insbesondere dann, wenn sie genügend gefressen hat. Auch im Zoo wird die in der Natur vorkommende «Ganzkörper»-Fütterung durchgeführt. Wer als Zuschauer diesem aussergewöhnlichen Schauspiel beiwohnen kann, wird schnell erkennen, dass sich die Familie auch beim Fressen an die tiereigene Hierarchie hält: Zuerst fressen die Männchen, danach die Weibchen.

Im Zoo und in der Wildnis

Ein Zoo ist immer einen Besuch wert. Das Löwengehege ein Fixpunkt auf dem Rundgang. Doch muss bei aller Schönheit und dem Willen, den Tieren eine art-und familiengerechte Haltung zu bieten, auch klar sein, dass ein zoologisches Umfeld den natürlichen Lebensraum nicht ersetzt. «Da auch in europäischen Zoos das Platzangebot für Löwen und ihre Familien an Kapazitätsgrenzen stösst, ist eine Züchtung aktuell weiterhin schwierig», konstatiert Dr. Alex Rübel. Nach der Geburt ist die Pubertät der zweite, grosse Entwicklungsschritt eines Löwen-Teenys in die eigene Selbstständigkeit. Die Ablösung vom angestammten Familienverband gestaltet sich aber je nach Art und Geschlecht unterschiedlich. «Im Zoo setzen wir auch solche Prozesse im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms um», erklärt Rübel. Wenn die Löwenkids erwachsen geworden sind, ist auch im Zoo die Zeit gekommen, die Tiere aus der Gruppe und von der Mutter zu lösen und an einen anderen Zoo, welcher die biologisch gewünschten und notwendigen Voraussetzungen erfüllt, abzugeben.

Filmreife Lion-Szenen

Das alles sind (filmreife) Szenen einer Familie – nicht nur im Reich der Tiere, sondern in unser allen Leben. Vielleicht kann das eine oder andere Ritual von Löwenfamilien abgeschaut oder wiedererkannt werden. Einzelgänger sind Löwen und auch «Lions» nicht. Zusammen geht vieles einfacher und besser, und auch das gemeinsame Ausruhen oder die Gemeinschaft zu pflegen, haben menschliche Lions mit ihren tierischen Namensvettern oftmals und gerne gleich.

Tobias Jäger

Aktuelle Lage im Zoo

Leider macht die Situation rund um COVID-19 auch vor den Löwenkäfigen und den Zoos nicht Halt. Olivier Pagan (Direktor Zoo Basel) informiert: «Die finanzielle Situation unseres Zoos lässt es zu, den finanziellen Verpflichtungen in dieser schwierigen Zeit nachzukommen. Dies trotz ausfallenden Eintrittspreisen. Weiter erzählt Pagan, dass der Zolli seine Botschaften und die Begeisterung für die Natur über Fotos, Videos, Live-Schaltungen und über die sozialen Medien an alle Interessierten weitergibt. «Im Moment geht es allen Tieren gut. Sie spüren nichts von einer Krise. Jedoch realisieren sie, dass keine Besucher da sind und es spürbar ruhig geworden ist», kommentiert Dr. Rübel (Direktor Zoo Zürich) die aktuelle Situation. Zudem erklärt er, dass gerade im Zoo die Kosten da anfallen würden, wo keine Kurzarbeit eingeführt werden kann. So zum Beispiel beim Tierpflegepersonal, bei den Futter-oder den Energie-und Wasserkosten. Der Frühling mit diesem tollen Wetter wäre für alle Zoos ideal gewesen. So fehlen die Einnahmen, und die finanziellen Einbussen sind entsprechend hoch und schmerzhaft. Beide Betriebe verfügen aktuell jedoch noch über die notwendigen Reserven, um diese schwierige Zeit bis zum 6. Juni und zur Wiedereröffnung der zoologischen Einrichtungen überbrücken zu können.

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